Leseprobe aus "Die
Erben der Pharaonin" |
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Begegnungen |
Unser zweiter
Tag in Hurghada.
Ich schiebe mir ein Kaugummi in den Mund, kaue.
Blicke auf das Thermometer, das neben dem Balkonfenster
hängt und staune. Dreiunddreißig Grad
um acht Uhr abends. Ich werde mich an diese Hitze
nicht gewöhnen. Das ist beschlossene Sache.
Wenn man lacht, schwitzt man in den Mundwinkeln.
Ich lache nicht.
Dabei könnte ich mich freuen. Heute Abend
ist großer Tanz. Happy Party nennt sich
die Veranstaltung, die in einem Zelt im Hotelparks
stattfindet.
„Du
siehst hübsch aus“, behauptet Mama,
lächelt aufmunternd, wie nur Mütter
lächeln können, mit schief heruntergezogenem
Mundwinkel. Wir stehen uns im Zimmer gegenüber
und sie schaut mir zu, wie ich mich in meinen
Wickelrock wickle.
„Ich
glaube nicht, dass ich lange bleibe. Hier gibt’s
nur öde Typen“, betone ich, ziehe verächtlich
die Nase kraus.
„Bleib
so lange, wie du willst, aber um elf Uhr bist
du wieder auf dem Zimmer.“
„Sehr
witzig“, kontere ich und werfe einen letzten
Blick in den Spiegel.
Die Tür fliegt auf und Lisa kommt ins Zimmer
gepoltert. Ihre kleinen Füße trommeln
auf den gelben Fließen wie Kastagnetten
in der Hand einer spanischen Tänzerin. Sie
hüpft begeistert auf und nieder und schwenkt
etwas Dunkelgrünes, Undefinierbares in ihrer
ausgestreckten rechten Hand. Erst beim zweiten
Hinschauen erkenne ich, dass es sich dabei nicht
um ein neuartiges Gymnastikband, sondern um eine
Schlange mit platt gewalztem Körper handelt.
„Hab
ich gefunden, stell dir vor.“ Und von Mama
will sie wissen: „Ist
das eine Giftschlange?“
Meine Mutter ist beim Anblick des schleimverschmierten
Tieres blass geworden, vom Bett aufgesprungen
und hat sich zur Flucht entschlossen. Doch vor
der Tür steht Lisa. Lisa mit der Schlange.
Und um vom Balkon zu springen fehlt ihr der Mut.
Mama ändert ihren Plan und weicht in die
hinterste Zimmerecke zurück. Eine Antwort
kann oder will sie nicht geben. Ihre Arme rudern
ungeduldig durch die Luft, als könne sie
so das verloren gegangene Gleichgewicht wiederfinden.
Wie sie da steht, mit zu Berge stehenden schwarzen
Locken, ängstlich, aber auch ein bisschen
verlegen, sieht sie noch kleiner aus als sonst.
Ein Gartenzwerg von einem Meter sechzig. Wenn
ich mich mit hohen Schuhen neben sie stelle, überrage
ich sie um eine ganze Kopflänge. Ich stelle
mich nicht neben sie, werde sie nicht beschützen,
ihr mein Mitleid verweigern. Sie ist selber schuld.
Sie hat dieses Kind geboren und verzogen.
„Was
ist das?“, piepst Mama mit hoher Stimme.
„Sollst
du mir doch sagen.“
„Ist
die tot?“, fragt Mama.
„Klaro
ist die tot.“
„Was
willst du dann mit ihr?“ Komische Frage.
Mama hat sich etwas entspannt, doch sie traut
der Sache immer noch nicht. Immerzu schleppt Lisa
tote oder halbtote Tiere an. Das macht sie zu
Hause und das macht sie auch hier. Es ist einfach
ekelhaft.
„Schmeiß
sie weg!“, fordere ich. „Das Vieh
bleibt nicht in unserem Zimmer.“
„Die
will ich aber Papa zeigen“, erklärt
Lisa und kommt mit dem Ding gefährlich nahe
an mich heran. Ich sehe die matt glänzende
Schlangenhaut, die silbrig überzogenen, toten
Augen, den fischartigen weichen Mund und trete
nun ebenfalls zurück.
„Der
kommt erst am Sonntag zurück“, versuche
ich es mit Logik. „Die stinkt jetzt schon.“
„Klaro
stinkt die, die habe ich ja auch aus einem Mülleimer
geholt. Glaubst du, dass die jemanden gebissen
hat? Bevor sie tot war, meine ich.“
„Den
Gummireifen eines Lastwagens vielleicht“,
brumme ich ungehalten und schlängle mich
an Lisa und dem toten Ding vorbei. „Sag
dem Baby“, werfe ich meiner Mutter noch
zu, „dass die Schlange verschwinden muss.
Das hier ist auch mein Zimmer, und Tschüss.“
„Du
sollst mich nicht Baby nennen“, schimpft
meine kleine Schwester, dreht sich um und wirft
die stinkende Schlange nach mir. Doch da bin ich
bereits aus dem Zimmer. Von drinnen höre
ich den Aufschrei meiner Mutter und das gurgelnde
Zischen einer fast toten Schlange.
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