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Leseprobe aus "Katzenzauber für Kolumbus"

„Ja, doch", sagt eine fremde Stimme, „hier herein! Wir haben uns hinter einer Ritterrüstung versteckt und gewartet. Sie sind in den großen Saal gegangen. Wir wussten gleich, dass da irgendetwas nicht stimmt! Sie müssen noch hier drin sein. Wir hatten alle Türen im Auge."

„Was ist mit der Tür da drüben?", fragt eine zweite Stimme. „Die könnt Ihr unmöglich vom Flur aus sehen."

„Ja, richtig! Aber die ist verschlossen. Es würde uns sehr wundern, wenn sie dafür einen Schlüssel hätten. Vielleicht sind sie hinter einem Vorhang. Aber seid vorsichtig, sie sind größer als wir."

Am Klang der Stimmen erkennen wir, dass es Jungen in unserem Alter sind. Einen Augenblick lang bin ich mir nicht sicher, ob ich Minje dafür danken soll, dass wir alle Sprachen der Welt verstehen und sprechen können. Jetzt können wir zuhören, wie sie uns finden und verhaften lassen. Die anderen, die wie ich große Augen machen, denken wohl Ähnliches. Minje, ganz Katze, putzt weiter ihr Fell. Sie scheint keine Angst zu haben. Kennt sie diese Kinder? Gedanken überschlagen sich in meinem Kopf. Haben wir Zeit, uns wegzuzaubern? Aber wohin? Und wie? Da höre ich Filo, die lauthals anfängt zu kichern. Nicht leise, nicht zurückhaltend. Sie beginnt, ihren Bruder in reinstem Spanisch provozierend zu beschimpfen. Strampelt aufgeregt mit ihren dünnen Beinen. Ich erahne ihr Vorhaben.

„Ich hab dich, ich hab dich", schreie ich und ziehe den Vorhang zurück. Schreie natürlich in Spanisch, das mir so leicht fällt, als wäre es meine Muttersprache. Keuchend bleibe ich stehen, um die Wirkung auf das Publikum zu sehen.

Zwei Jungen in herrschaftlichen Kleidern starren uns erstaunt an. Ihre Gesichter wirken enttäuscht. Wenn sie einem Geheimnis auf die Spur kommen wollten, dann haben sie Pech gehabt. Hier gibt es keine Geheimnisse. Singend kommt Filo hinter dem Vorhang hervor. Sie hat sich mit beiden Händen Ufelius Beine geschnappt und zerrt ihn unter Gejohle über den harten Steinboden. Ich bin froh, nicht in ihrer Nähe zu sein.

„Hola, wer seid ihr denn?", fragt sie unvermittelt, als habe sie die beiden soeben erst entdeckt. Frech stiert sie zu ihnen herüber, streckt ihnen die Zunge heraus.

„Wir, wir ...", stottert einer, der pechschwarze Haare und eine sehr helle Haut besitzt, als käme er nie an die frische Luft. „Wir haben euch gesucht."

„So, gesucht habt ihr uns. Das ist ja hochinteressant. Warum denn, wenn man fragen darf?"

„Weil wir euch hier noch nie gesehen haben."

Auch dieses Mal spricht der dunkelhaarige Junge. Der zweite, etwas jünger Aussehende, so blond wie wir, sagt keinen Ton. Mustert uns aber mit neugierigem, skeptischem Blick.

„He, Lukas, hast du die beiden vielleicht schon mal gesehen? Und du Ufelius? Ich jedenfalls nicht. Los, ihr Fremdlinge, versteckt euch schnell, ich will euch auch suchen."

Wild fuchtelt Filo mit den Händen. Die beiden, denen die Verblüffung deutlich ins Gesicht geschrieben steht, rühren sich nicht vom Fleck.

„Los, versteckt euch", ruft Filo und stampft ungeduldig mit dem Fuß auf. „Was steht ihr wie angewurzelt da?"

Und schon saust sie los, läuft auf die beiden zu. Sie will einen packen, hat ihre Hand fast dran. Doch die Jungen erwidern diese Herausforderung, drehen sich um und laufen kreuz und quer durch den Saal. Selbstverständlich macht Filo auch vor uns nicht Halt.

Zum Kuckuck mit dem wertvollen Buch, zum Ku- ckuck mit dem langen Mantel, denke ich. Ich werfe beides weg, spiele immer begeisterter mit. Das geht eine ganze Weile so.

Freudestrahlend und glücklich fallen wir wenig später reihenweise auf den Boden: Wir geben vor, einen Knöchel verstaucht, eine Zehe angeschlagen, ein Staubkorn im Auge zu haben.

„Also, wer seid ihr nun?", fragt Ufelius.

Wie vom Blitz getroffen, springt der eine Junge auf, schiebt seine langen Haare mit einer energischen Handbewegung aus dem Gesicht.

„Wenn du so fragst", meint er in wenig freundlichem Ton, „dann wissen wir, dass du tatsächlich ein Fremder bist. Du würdest sonst den Kronprinzen von Spanien erkennen. Er ist überall bekannt. Johann von Kastilien und Aragonien heißen wir, und das ist unser bester Freund Diego. Wir müssen euch sagen, dass niemand außer unseren Eltern uns duzen darf. Außerdem müsst ihr euch vor uns verbeugen."

Mit weit aufgerissenen Augen starren wir ihn an. Ein echter Prinz, wer hätte das gedacht? Er sieht kein bisschen anders aus als vor wenigen Minuten. Wie ein ganz normaler Junge eben. Nicht dünn, nicht dick. Die goldbestickten Kleider sind staubig, weisen sogar ein paar Löcher auf. Aber er wirkt nun selbstbewusster und herrischer als vorher beim Spiel.

„Papperlapapp", lacht Filo. „Ich mache gerne einen Knicks für dich, aber mehr auch nicht. Du bist viel zu nett. Ich sage nicht ,Sie‘ zu dir und ich will mich auch nicht vor dir verbeugen. Komm, ich will dir was zeigen."

Schnell springt sie hoch: „Soll ich beim Fangenspielen etwa immer nach unten schauen?"

Filo geht zehn Schritte rückwärts, senkt den Kopf und rennt auf den erstaunten Johann zu. Unweigerlich wäre ihr Kopf in dessen Bauch gelandet, wenn der Prinz nicht in allerletzter Sekunde zur Seite gesprungen wäre. Doch Filo lässt nicht locker. Geschickt dreht sie eine enge Kurve und kommt wieder auf ihn zugelaufen.

„Halt", schreit der Prinz, „wir können nicht mehr. Lass uns in Ruhe. Wir geben auf. Du darfst ,du‘ zu uns sagen." Der Prinz lacht.
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